Ray Charles (1966)
AMIGA 850063
(1 Exemplar – Eigene Sammlung)
Cover-Text
Mit Ray Charles verbindet sich eine der glanzvollsten Karrieren, die der Jazz kennt. Seine Kindheits- und Jugendjahre gaben allerdings den wenigsten Anlaß, eine solche Entwicklung auch nur ahnen zu lassen, im Gegenteil. Ray Charles wurde im Jahre 1932 im „Tiefen Süden“ der USA, in Albany/Georgia, geboren. Seine Familie verzog bald darauf nach Greensheld/ Florida, wo er im Alter von sechs Jahren an den Folgen einer Kinderkrankheit total erblindete. Ein sofortiger Eingriff hätte zwar noch Rettung bringen können, doch dem stand – wie selbst das amerikanische Jazz-Magazin „down beat“ schreibt – die völlig unzureichende Gesundheitsbetreuung der Negerbevölkerung im Süden der USA im Wege. Die wirtschaftliche Situation seiner Eltern gestattete es glücklicherweise, ihn auf die Blindenschule in St. Augustine/Florida zu bringen, wo auch George Shearing aufwuchs. Hier lebte sich Ray Charles ungewöhnlich schnell in seine neue, „dunkle Welt“ ein, und es war vor allem der Musikunterricht, der ihn von Anfang an faszinierte. Die Musik gab seinem plötzlich so radikal veränderten Dasein einen neuen Inhalt und ihm selbst inneren Halt. In der Folgezeit erwählte er Klavier und Altsaxophon zu seinen Lieblingsinstrumenten, auf denen er es nach und nach zu erstaunlichen Leistungen brachte. Dann traf ihn, fünfzehnjährig inzwischen, der zweite Schicksalsschlag, seine Eltern verstarben innerhalb weniger Wochen. Ohne Freunde und Verwandte war Ray Charles jetzt völlig auf sich allein gestellt, und da nunmehr das Schulgeld ausblieb, stand er vor der erbarmungslosen Notwendigkeit, den Kampf um die nackte Existenz aufzunehmen. Er sagte später dazu: „Ich mußte mich entscheiden. Ich hatte die Wohl zwischen einer Straßenecke, mit der Bettelbüchse in der Hand, oder dem Versuch, trotz allem etwas zu erreichen.“ Ray Charles ging den zweiten, bedeutend schwierigeren Weg, er schlug als Fünfzehnjähriger die Laufbahn des Berufsmusikers ein. Als Saxophonist und vor allem als Pianist fand er Jobs in den verschiedenartigsten Orchestern. Gleichzeitig arbeitete er mit unwahrscheinlicher Energie und Strebsamkeit an seiner künstlerischen Weiterbildung; begab er sich sogar in die Gefilde des Arrangierens. Obwohl des Notenschreibens kundig, sang er seine Arrangement-Ideen der Einfachheit halber seinen Kollegen vor. um sie von ihnen notieren zu lassen Auf diese Weise, so kurios es auch erscheint, wurde der Sänger Ray Charles entdeckt. Von seinen Kollegen bestärkt, beschritt er mit Freude und Elan das Neuland, das „seine Welt“ werden sollte. Siebzehnjährig unternahm Ray Charles den ersten Versuch zur Selbstandigkeit, er gründete das „Maxim Trio“. Der damalige Sänger war allerdings vom heutigen meilenweit entfernt, er erinnerte an die Art von Charles Brown und Not King Colt. „Ich sang wie diese beiden, denn sie verdienten mit ihrer Manier eine Menge Geld, und ich wollte auch verdienen. Aber das war nicht mein wirkliches Ich.“ Und dennoch kam Ray Charles auf diese Weise zu seinem ersten finanziellen Erfolg, auf den er jahrelang gehofft hatte. Des ewigen Kopierens allmählich müde werdend, reifte schließlich der Entschluß, zukünftig nur noch das eigene Fühlen und Denken künstlerisch auszudrücken, selbst auf die Gefahr hin, damit erneut in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Ray Charles formierte erstmals eine größere Besetzung und orientierte sich jetzt ausschließlich an der lebensechten, vitalen, jauchzenden und klagenden Musik seines Volkes. Mit der Mentalität des Südstaaten-Negers griff er zum Gospelbeeinflußten Blues-Vortrag, wurde er ein Repräsentat des „Rhythm & Blues“. Mit dieser Entscheidung zur eigenen Persönlichkcit nahm Anfang der 50er Jahre eine künstlerische Entwicklung ihren Lauf, die Ray Charles zu einem der bemerkenswertesten und erfolgreichsten Interpreten des Jazz unserer Tage werden ließ —und das sowohl in künstlerischer als auch in kommerzieller Hinsicht. Ein Kritiker nannte kürzlich Ray Charles ein „Phänomen“. Diese Titulierung erscheint nicht übertrieben, wenn man bedenkt, daß er das „Wunder“ zuwege gebracht hat, nicht nur die Begeisterung der Jazzliebhaber in aller Welt, sondern auch die des Schlagerpublikums zu wecken. Hinzu gesellt sich die globale Anerkennung die Ray Charles aus dem Kreis der Musiker zuteil wird vom „Oldtimer“ bis zum „Avantgardisten“. Es ist offensichtlich, daß Ray Charles als Instrumenttalist zum modernen Jazz neigt, und man kann durchaus sagen, daß der seit einigen Jahren so popular gewordene moderne „Soul“ Jazz von ihm manch wesentlichen Impuls erhalten hat. Ray Charles-Kompositionen — z. B. der -Blues Waltz“. „I Got A Womon“ oder „The Right Time“ — gehören heute zum Repertoire fast jeder modernen Jazzgruppe. Die Zusammenarbeit mit Ray Charles wird für jeden Musiker zu einem freudigen, echt musikalischen und unvergeßlichen Erlebnis. Der namhafte Arrangeur Ouincy Janes, einer der langjährigsten Freunde von Ray Charles, berichtet: Sobald Ray am Piano sitzt, wird auch das müdeste Orchester quicklebendig, seine Musikalttat ist einfach unwahrscheinlich. Plattenaufnahmen werden oftmals zur Tortur, doch mit Ray Charles werden sie regelmäßig zu einem großartigen. begeisternden Erlebnis. Der erste, der mir beibrachte, wie ein Saxophonsatz zum Klingen gebracht wird war Ray Charles.“
Was Ray Charles auch immer singt, ob Blues, Jazz-Standards, Balladen oder populäre Schlager, bei ihm wird alles zu Jazz der unverwechselbar eigenen Note. Mit seinen vibrierenden. rauh-heiseren wie auch lyrisch-zarten. manchmal fast kindhaften Tönen, mit seiner dem inneren Erleben entspringenden Ge-staltungskraft umgibt er jeden Vortrag mit der kraft-vollen Atmosphäre des Blues, mit dem typischen -Ray Charles Sound“ Ob in der Art der expressiven Gospel-Predigt („New York’s My Home“. „I’ve Got News For You“), ob „erzählend“ und „shouting* in altbewährten Titeln (-Basin Street Blues“. _Marie“, -California, Here I Come“, „Margie“, „I’m Gonna Move „: -Rosetta°, „Sweet Georgia Brown“, „Chen tanooga Choo-Choo“), ob voller köstlichen Humors („At The Club“, „Baby. It’s Cold Outside“), ob als Instrumental-Solist in seiner überwiegend aus Basie-Musikern zusammengesetzten, kompakt swingenden Studio-Band Ray Charles überzeugt mit seiner künstlerischen Klarheit und kompromißlosen Wahr-haftigkeit. Das unterstreichen auch seine Worte: -Ich singe so, wie ich fühle. Ich versuche nicht, den Geschmack anderer zu treffen Ich bin glücklich, daß die Menschen meine Art mögen, aber auch sonst würde ich immer so sein.“
Karlheinz DrechselTitelliste
1. At The Club
(Mayfteld)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
2. Basin Street Blues
(Williams)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
3. Alabamy Bound
(De Sylva—Green—Henderson)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
4. New York’s My Home
(Jenkins)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
5. Josephine
(King—Bivens—Kahn)
Ray Charles, Piano Solo
6. Marie
(Berlin)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
7. California, Here I Come
(Jolson — De Sylva—Meyer)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
8. I’ve Got News For You
(R. Alfred)
Ray Charles (voc, orgon) mit dem Orchester Ouincy Janes
9. Margie
(Conrad—Robinson—Davis)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
10. I’m Gonna Move To The Outskirts Of Town
(Weldon—Jacobs)
Ray Charles (voc, organ) mit dem Orchester Ouincy Janes
11. One Mint Julep
(Toombs)
Ray Charles (organ) mit dem Orchester Ouincy Janes
12. Rosetta
(Hines—Woods)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
13. Sweet Georgia Brown
(Bernie—Pinkard—Casey)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
14. Chattanooga Choo-Choo
(Gordon—Warren)
Ray Charles (voc, p) und sein Orchester
15. Baby, It’s Cold Outside
(Loesser)
Ray Charles und Betty Carter (voc) mit dem Orchester Marty Paich
16. Side By Side
(Woods)
Ray Charles und Betty Carter (voc) mit dem Orchester Marty Paich
Gestaltung: Ehbets
Foto: Philips
Ton: Nico v. d. Stam
VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN
108 BERLIN