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Peter Gabriel – So (1988)

AMIGA 856353
GHS24088
(je 1 Exemplar – eigene Sammlung)

Covertext

Daß man mitten im Strom nicht die Pferde wechseln soll, ist eine weitgehend unwidersprochene Weisheit. Wer es dennoch tut, muß ein recht eigensinniger Charakter sein. Eben wie Peter Gabriel. Mitte 1975 verließ er GENESIS, die Gruppe, die er 1966 mitbegründet, in der er als Songschreiber, Sänger und Verwandlungskünstler den Ton angab, genau zu dem Zeitpunkt, als sie mit den bombastischen Sprach- und Klangbildern ihrer Doppel-LP THE LAMB LIES DOWN ON BROADWAY Englands Kunst-Rock auf die intellektualisierende Spitze getrieben, zwar niemals unwidersprochen, aber doch auch von einer stetig anwachsenden Anhängerschaft bejubelt. Gabriel erklärte per Pressemitteilung, sich als Individuum „entmenschlicht“ zu fühlen und zog sich mit Sack und Pack und Weib und Kind aufs Land zurück. 1977 kam er mit einer im kanadischen Toronto eingespielten LP wieder zum Vorschein. Wie die drei folgenden nannte sie sich schlicht PETER GABRIEL. Die musikalische Linie war nicht ganz so eindeutig. Die Platte enthielt kabarettistisch querulante Songs wie Excuse Me und Down The Dolce Vita, Songs mit Blueseinschlag wie Waiting For The Big One, Stücke mit drängendem Rock-Rhythmus wie Modern Love und Slowburn sowie effektvolle Tongemälde wie Here Comes The Flood. Das anspielungsreiche Solsbury Hill gelangte sogar in die Pop-Charts.

Für sein zweites, 1978 veröffentlichtes Album gewann Gabriel KING CRIMSON-Gitarrist Robert Fripp als wichtigsten Mitarbeiter. Zwischen rhythmisch forcierten Liedern (D.I.V, Perspective, On The Air) und tragikum-florten lyrischen (Animal Magic, Mother Of Violence, White Shadow) wollte sich Harmonie nicht so recht herstellen. Beeindruckte bei Mother Of Violence der Kontrast zwischen Form und Aussage – in einer Art Wiegenlied wird von menschlicher Grausamkeit berichtet -, so in White Shadow der zwischen den schwebenden Klangflächen des Hintergrunds und den über sie voranstürmenden Gitarrenläufen Fripps.

PETER GABRIEL III und PETER GABRIEL IV, 1980 bzw. 1982 erschienen, gingen einen ganz anderen Weg. Gabriel zeichnete exotische, beispielsweise westafrikanische und indonesische Musik sowie Realgeräusche auf, bearbeitete sie mittels Fairlight Computer und formte sie zu rhythmischen Grundstrukturen von Songs um. Diese scheinbar akademische Schaffensweise erwies sich als ungewöhnlich anregend. „Ich konnte plötzlich“, verriet Gabriel in einem Interview, „um einen Rhythmus herum ein Stück schreiben, weil diese neuartigen, viel lebendigeren Patterns mich viel mehr inspirierten als herkömmliche, starre Rockpatterns.“ Der dieser Arbeitsweise innewohnenden Gefahr, sich in beziehungs- und ziellosen Klangströmen zu verlieren, entging Gabriel, weil er gleichzeitig ernsthafte inhaltliche Anliegen in seine Texte einzubringen trachtete. Nicht daß sie vordergründig zu entschlüsseln waren, ihre Wirkung zogen sie stets mehr aus überraschenden, ungewöhnlichen Bildern als aus propagandistischen Plattitüden, aber aus den poetischen Stimmungen war unschwer zu erfühlen, wie bitter Gabriel die Störung und Zerstörung jeder Kommunikation zwischen Mensch und Mensch in der modernen westlichen Massengesellschaft beklagte. Wo es sich vom Thema her anbot, scheute er auch die direkte Aussage nicht, in Songs wie Biko, der den Mord an dem südafrikanischen Freiheitskämpfer und Dichter Steve Biko anprangert, Wallflovver, der dem Schicksal eines namenlosen politischen Häftlings nachgeht, oder San Jacinto, der von den Benachteiligungen der nordamerikanischen Indianer erzählt. Gabriels Stimme ordnete sich den Anliegen bewußt unter. Gerade weil sie sich verhalten und kühl gab, weil sie mehr heiser rezitierte als ausdrucksvoll sang, erzeugte sie eine dichte Atmosphäre der Unruhe und Angst, der Bedrohung und Bedrückung. Allerdings büßte sie an musikalischer Unmittelbarkeit ein.

Wie sehr Gabriel daran gelegen war, sich seinem Publikum zu nähern, zeigte sich auch daran, daß er von seiner dritten und vierten LP deutsche Fassungen herstellte. „Die Vorherrschaft der englischen Sprache finde ich arrogant“, sagte er. Und wenn sich seine Konzerttourneen zu aufwendigen Revuen aus Spiel und Licht, Kostüm und Film auswuchsen, dann nur, um so viel Spannung für seine Songs zu schaffen, wie sie forderten und verdienten. Das Doppel-Album PETER GABRIEL PLAYS LIVE (1982/83) dokumentierte, daß ihm das gelang. Nachdem er 1985 für den Film „Birdy“ ältere Stücke zu einem Soundtrack eingerichtet, trat Gabriel im Jahr darauf mit der hier vorgelegten LP SO auf den Plan. Zusammen mit versierten Musikern wie Tony Levin (bg), David Rhodes (g), Jerry Marotta und Manu Katché (dr) schuf Gabriel eine Platte, die sich durch Klarheit und Kraft auszeichnet. Nicht daß er es aufgegeben hätte, eine geistvolle und dicht verarbeitete Musik zu schreiben. Doch zwang er klangliche Fantasie und instrumentale Fülle zu Songs von großer Eindringlichkeit. Der gelungenste ist sicher Don’t Give Up, ein Duett mit Kate Bush, in dem es um Arbeitslosigkeit, Verzweiflung und Mutzuspruch geht. Wie einem so sperrigen Thema künstlerische Schönheit abgewonnen wurde, ohne es an inhaltlicher Prägnanz fehlen zu lassen, ist eindrucksvoll. Mit zwei Titeln, dem liebesfrohen Sledgehammer und dem satirischen Big Time, erwies Gabriel der Soul-Musik seines Vorbildes Otis Redding überaus glaubwürdigen Tribut. In Your Eyes ist ein leidenschaftliches, That Voice Again ein nachdenkliches Liebeslied. Und es bedarf keiner Kenntnis der dem Lied Mercy Street zugrundeliegenden literarischen Quelle, um die ergreifende Sentimentalität seiner Melodie empfinden zu können. Einzig Red Rain verlangt Entschlüsselung; der Song handelt nicht von Umweltproblemen, sondern von Menschen, die ihre Gefühle in sich verschließen. Es ist erfreulich, daß ein Album mit einer so gewichtigen Konzeption nicht nur seitens der Fachleute, sondern auch seitens des allgemeinen Pop-Publikums volle Anerkennung fand.

Wolfgang Tilgner (1988)

Titelliste

A1 – Red Rain – 5:35
Jerry Marotta (dr), Chris Hughes (dr-comp-progr.), Steward Copeland (Hi-hat), Tony Levin (bg), Daniel Lanois (g, Background-voc), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb)

A2 – Sledgehammer – 5:08
Manu Katché (dr), Tony Levin (bg), David Rhodes (g), Daniel Lanois (g, Tambourin), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb), Wayne Jackson (tp), Mark Rivera (saxes), Don Mikkelsen (tb), PP Arnold, Coral Gordon, Dee Lewis (Background-voc)

A3 – Don’t Give Up – 6:29
Manu Katché (dr, perc), Tony Levin (bg), David Rhodes (g), Richard Tee (p), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb), Kate Bush (Solo-voc), Simon Clark (Keyb-Solo)

A4 – That Voice Again – 4:50
Manu Katché (dr), Tony Levin (bg), David Rhodes (g), Daniel Lanois (g), L. Shankar (v), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb)

B1 – In Your Eyes – 5:24
Manu Katché (dr, perc), Jerry Marotta (dr-comp-progr.), Larry Klein, Tony Levin (bg), David Rhodes (g), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb), Richard Tee (p), Yousson N’dour (Solo-voc), Michael Been, Peter Gabriel, Jim Kerr, David Rhodes, Ronnie Bright (Background-voc)

B2 – Mercy Street – 6:19
Djalma Correa (perc), Larry Klein (bg), Richard Tee (p), Mark Rivera (sax), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb)

B3 – Big Time – 4:24
Steward Copeland, Tony Levin, Jerry Marotta (dr), Simon Clark (keyb), David Rhodes (g), Daniel Lanois (g), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb), Jimmy Bralower (dr-comp-progr.), PP Arnold, Coral Gordon, Dee Lewis (Background-voc), Wayne Jackson (tp), Mark Rivera (saxes), Don Mikkelson (tb)

B4 – We Do What We’re Told
Jerry Marotta (dr), David Rhodes (g), L. Shankar (v), Peter Gabriel (Solo-voc, keyb)

Kompositionen und Texte: Peter Gabriel
Text Titel 4: Peter Gabriel/David Rhodes

Arrangements: David Rhodes
Bläserarrangements: Wayne Jackson / Peter Gabriel / Daniel Lanois

Übernahme von Virgin Schallplatten GmbH, München/BRD

VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN BERLIN DDR
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Lithografie und Druck: VEB VMW „Ernst Thälmann“,
Werk Gotha-Druck
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