Joe Cocker (1985)
AMIGA 856076
(1 Exemplar – eigene Sammlung)
Covertext
„Es gibt mindestens 20 Leute, die einen Prozentanteil an mir besitzen, und das lebenslang – ich unterschrieb ständig Verträge, in denen jemand einen Teil von mir beanspruchte.“
Der das von sich mit einer Mischung aus Selbstmitleid und Sarkasmus sagte, galt Ende der 60er Jahre als d i e männliche Stimme der Rock-Musik, als Beweis, daß ein weißer Europäer schwarzen amerikanischen Blues singen kann. Ein paar Jahre später galt er schon als kaputt, ausgebrannt, verschlissen, am Ende.
Seine Musik, seinen Gesangsstil hat er geschult am Vorbild eines der großen schwarzen Rhythm & Blues-Interpreten. Daß dabei wesentlich mehr als eine perfekte und glaubhafte Imitation herauskam, ist dem Umstand zu verdanken, daß er mehr als genug zuzusetzen hatte an eigener Lebensintensität und eigenem Schmerz, selbst erlebtem „blues and trouble‘ Einmal hat er sich selbst als „weißen Nigger“ bezeichnet.
Seine gleichermaßen hochsensible wie labile Psyche ließ ihn auch immer wieder zum Außenseiter werden, der seine Unfähigkeit mit den harten Realitäten des Rock-Geschäftes zu Rande zu kommen, ebenso wie eigene Unsicherheiten in Alkohol zu ertränken versuchte und damit seine Probleme und Leiden doch nur vermehrte. Als er 1968 im Alter von 24 Jahren mit seiner Version von „WITH A LITTLE HELP FROM MY FRIENDS“ das gewiß nicht fade Original der Beatles in den Schatten stellte, da überzeugte er mit bis dahin in diesem Metier kaum gekannter Gefühlstiefe, und neben das jugendlich-aufsässige Kreischen vieler Rockbands jener Zeit trat Joe Cocker mit dem Schrei eines erwachsenen Mannes, der in höchster Not um Hilfe ruft.
Die wechselvolle Laufbahn des weißen Sängers mit der schwarzen Stimme – eine Laufbahn, die übrigens viele Parallelen mit der von Janis Joplin aufweist (er bedauert heute noch, nie mit ihr gemeinsam gesungen zu haben) – begann, als Joe Cocker 12 Jahre alt war und in seiner Heimatstadt Sheffield, einer Industriestadt in Mittelengland, in einer der damals bei der britischen Jugend ausgesprochen populären Skiffle-Bands mitspielte, in denen junge Leute sich ihre musikalischen Erfahrungen aus frühen Rock’n’Roll-Einflüssen, Rhythm & Blues-Standards, Volksliedern, Schlagern, Dixieland-Songs usw. ihrem Lebensgefühl entsprechend zurechtsangen. (Erwähnt sei an dieser Stelle, daß auch die Beatles als Skiffle-Musikanten begannen.)
Joe Cocker, Sohn eines Angestellten, soll – so will es die Legende – mit 15 seine erste Gage für eine musikalische Darbietung erhalten haben. In einem kirchlichen Jugendheim. Er absolvierte eine Lehre als Klempner und versuchte dann sein Glück endgültig mit der Musik, nunmehr mit dem Rock’n’Roll. Er tingelte jahrelang durch die Kneipen der näheren und weiteren Umgebung seiner Heimatstadt (für eine Gage von rund 100 Mark pro Woche), versuchte sich wohl auch eine Weile am Schlagzeug, das er jedoch bald wieder zugunsten des Gesanges aufgab. Von kaum zu überschätzender Wichtigkeit war dabei sicher der Umstand, daß er sich zu jener Zeit die Platten des blinden schwarzen Pianisten und Sängers Ray Charles kaufte und sie sich immer wieder anhörte, nachsang, mitsang.
Nach einigen Jahren als Sheffielder Lokal-Matador, der auch schon bei Tourneen von Manfred Mann und den Hollies im Vorprogramm auftrat, dem aber darüber hinaus der Sprung ins große Plattengeschäft nicht glücken wollte, erarbeitete er mit seinem langjährigen Mitstreiter Chris Stainton eben jene Fassung von „WITH A LITTLE HELP FROM MY FRIENDS“, die ihn auf einen Schlag weltberühmt machte. Schon mit diesem einen Song (bei dessen Aufnahme übrigens der spätere Led Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page mitspielte) wäre er in die Annalen der Rockmusik eingegangen. Aber Cocker zog nach. Hauptsächlich mit Cover-Versionen, intensiv und sehr persönlich nachempfundenen eigenen Fassungen bereits vorhandener Lieder, wurde er zu einer Kultfigur der damaligen Hippie- und Flower-Power-Szene, nicht schlechthin wegen seiner rauhen und nunmehr unverwechselbaren Stimme, sondern vor allem durch die erdige, ehrliche Brachialgewalt, mit der er sein eigenes Suchen, seine Verletzlichkeit bekannte.
Gerade seine Cover-Versionen waren es, die zu großen Hits wurden. Einige der bekanntesten Beispiele auf dieser Platte sind neben den „FRIENDS“ „THE LETTER“ (original von den Box Tops) und „SHE CAME IN THROUGH THE BATHROOM WINDOW“ (Beatles). Das meiste Geld daran verdienten allerdings die jeweiligen Autoren, Produzenten, die Schallplattenfirma und diverse Manager.
Ein gern zitiertes, weil für Joe Cocker typisches Beispiel: seine 1970er USA-Tournee mit dem Riesen-Ensemble „Mas Dogs And Englishmen“ im Gefolge seines Woodstock-Auftrittes ein Jahr zuvor. Diese Tournee wurde von Publikum und Kritikern gleichermaßen bejubelt. Der nach Freundschaft und Anerkennung hungernde Cocker (der den Streß der zahllosen, in kürzester Zeit aufeinander folgenden Konzerte schon nur noch im Alkoholrausch ertragen zu können meinte) beendete sie mit einem „Reingewinn“ von 862 Dollar. Verbitterung und Selbstvorwürfe trieben den sensiblen Sänger tiefer in Drogen und Alkohol. Er zog sich zurück, und die, die sich nicht gescheut hatten, auch noch das schon manövrierunfähige Wrack gegen Geld bestaunen zu lassen, ließen ihn fallen. Der sich auf unvergleichliche Art musikalisch artikulierende Mensch Joe Cocker hatte sie ohnehin – wenn überhaupt – nur am Rande interessiert.
Es spricht für den Musikanten Joe Cocker, daß er gerade in letzter Zeit (nach einigen trotz der Beteiligung erstklassiger Musiker doch zumeist halbherzigen Versuchen in den 70er Jahren) wieder die Kraft fand, vor die Öffentlichkeit hinzutreten. Mit Unterstützung der prominenten Reggae-Musiker Sly Dunbar und Robbie Shakespeare spielte er 1982 das Album „Sheffield Steel“ ein.
Äußerlich schwer gezeichnet, aber auch persönlich und stimmlich gereift, stellte er sich wieder dem Publikum, ein Sänger, geschult am Blues, doch nie Blues-Sänger im eigentlichen Sinne, durch die Lehre des Rock’n‘Roll gegangen, doch auch kein Rock-Star – für mich der ergreifende Chansonnier mit der bluesigsten, rockigsten Ausdruckskraft – Joe Cocker.
Manfred Wagenbreth (1984)Titelliste
A1 – Feeling Alright – 4:15
(Dave Mason)
A2 – With A Little Help From My Friends – 5:10
(John Lennon / Paul McCartney)
A3 – She Came In Through The Bathroom Window – 2:38
(John Lennon / Paul McCartney)
A4 – Sing Me A Song – 2:28
(Henry McCullough)
A5 – Delta Lady – 2:50
(Leon Russell)
A6 – I Can Stand A Little Rain – 3:34
(Jim Price)
B1 – Woman To Woman – 4:30
(Joe Cocker / Chris Stainton)
B2 – The Letter – 4:09
(Thompson)
B3 – Don’t Let Me Be Misunderstood – 4:42
(B. Benjamin / G. Caldwell / S. Marcus)
B4 – Hitchcock Railway – 4:39
(Dunn)
B5 – Don’t Forget Me – 3:20
(Harry Nilsson)
JOE COCKER (voc)
Übernahme von Intercord Tongesellschaft mbH, Stuttgart/BRD
Besetzungen:
Titel 1
Paul Humphries (dr)
Carol Kaye (b)
David Cohen (g)
Artie Butler (p)
Laudir (perc)
Brenda Holloway, Merry Clayton, Patrice Holloway (Background)
Titel 2
B.J. Wilson (dr)
Chris Stainton (b)
Tommy Eyre (org)
Jimmy Page (g)
Sue and Sunny Weetman, Rosetta Hightower (Background)
Titel 3, 5, 8 und 10
Chris Stainton, Leon Russell (p, org, g)
Alan Spenner (b)
Bruce Rowlands, Paul Humphries (dr)
Henry McCullough, Sneeky Pete, Clarence White (g)
Milt Holland (perc)
Bonnie Bramlett, Rita Coollidge, Patrice Holloway, Sherlie Matthews (Background)
Titel 4
Jim Price (p, org)
Jay Graydon (g)
Chris Stewart (b)
Jimmy Karstein (dr)
Clydie King, Venetta Fields, Sherlie Matthews (Background)
Titel 6
Nicky Hopkins (p)
Jay Graydon, Henry McCullough (g)
Dave McDaniel (b)
Jeff Porcaro (dr)
Merry Clayton, Clydie King, Venetta Fields, Sherlie Matthews (Background)
Titel 7
Chris Staintan (p, org)
Allan Spenner (b)
Neil Hubbard (g)
Jim Keltner. Alan White (dr)
Felix Falcon (perc)
Rick Alphonso (tp)
Fred Scerbo, Milton Sloane (sax)
Gloria Jones, Virginia Ayers, Beverly Gardner (Background)
Titel 9
Kenny Stade (dr)
Chris Stainton (b)
Tommy Eyre (org)
Henry McCullough (g)
Titel 11
Nicky Hopkins (p)
Peggy Sandvig (org)
Henry McCullough (g)
Chris Stewart (b)
Jeff Porcaro (dr)
VEB DEUTSCHE SCHALLPLATTEN BERLIN DDR
Made in the German Democratic Republic
Gestaltung: Intercord
Typographie: Gerd Semder
Lithografie und Druck: VEB VMW „Ernst Thälmann“,
Werk Gotha-Druck
Ag 511/01/85/A Verpackung nach TGL 10609